12. Kapitel |
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Wenn im Nachstehenden über das bäuerliche Leben im vorigen Jahrhundert Einiges gesagt werden soll, so kann nur das Wichtigste und auch das nur unvollständig behandelt werden.
Wohnung
Im niedersächsischen Bauernhause wohnte der Landbewohner mit seinem Vieh einträchtig unter einem Dache. Diese Bauform war in den Dörfern bei Dalheim die herrschende, und zwar die Fachwerkform des Vierständerhauses. In der Zeitschrift Westfalen 20. Jahrgang 1935 hat Joseph Schepers außerordentlich instruktiv über die Fachwerksgestaltung beim Westfälischen Bauernhaus geschrieben.
An der Stirnseite ist das Einfahrtstor. Rechts und links der Tenne sind die Viehställe und im hinteren Teile Küche und Wohnräume. Leider sind die malerischen Strohdächer auch in Blankenrode und den Nachbardörfern verschwunden, wie auch bei landwirtschaftlichen Neubauten die Bauform des niedersächsischen Bauernhauses mehr und mehr verschwindet.
Vor dem Bauernhause ist meistens zur Straße hin die Düngerstätte, die auch heute, noch vielfach zum großen Schaden der Düngung der Wiesen, Weiden und Äcker der Jauchegrube entbehrt.
Bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts hatten die meisten Häuser keinen Schornstein. Die Erlaubnis zum Bau eines steigbaren Schornsteins im Fernandshause wurde am 17.3.1882 erteilt. Der Rauch von dem Buchenbrennholz, welches im südlichen Teil des Hochstiftes Paderborn ausschließlich gebrannt wurde, verteilte sich auf der Tenne, wo unter der Balkendecke Schinken, Speck und Würste hingen und in vortrefflicher Weise geräuchert wurden.
Die Wohnstube wurde meistens durch einen gußeisernen Ofen beheizt, in den von der Tenne her mächtige Buchenscheite hineingeschoben wurden. Die Wohnstube wurde so von Rauch, Staub und Asche nicht belästigt. Diese Öfen wurden in Bredelar und auch Altenbeken hergestellt.
Die Schlafstuben waren vielfach klein mit unzureichender Luftzufuhr durch die kleinen Fenster. In der Regel waren Küche, Wohn- und Schlafräume im Erdgeschoß.
Die Bühne diente meistens dem landwirtschaftlichen Betriebe, nur im Ausnahmefalle zum geringen Teil als Schlafstube. Eine Unterkellerung des Hauses fehlte meistens, so daß bei den damals noch unbekannten Isolierungsmethoden das Mauerwerk gegen Erdfeuchtigkeit nicht geschützt war.
Vor der Erfindung der Streichhölzer - die ersten waren die"Schwefelsticken", wie man sie im Paderborner Land nannte, und dann kamen die "schwedischen" - war die Gewinnung des Feuers jeden Morgen eine Haupt- und Staatsaktion! Man schlug Stahl auf einen Feuerstein, fing die Funken in Schwamm auf, blies den sich entzündenden Schwamm weiter an und bekam so endlich das Feuer, welches den ganzen Tag auf dem Herd wenigstens in der Asche gehütet wurde, und welches durch einen Blasebalg ("Püster") wieder angefacht werden konnte. Mit Feuerstein, Stein und Schwamm (Zunder) zündete der Raucher seine Pfeife an; Zigarren, geschweige denn Zigaretten waren damals unbekannt.
Um Feuersgefahr und Feuersbrünste zu vermeiden, waren polizeiliche Vorschriften vielfach erlassen, über deren Befolgung die Landjäger zu wachen hatten. Am 11.2.1817 bekam Martin von Rüden von Mertenshof in Blankenrode eine Strafe von einem Taler, (damals eine sehr hohe Strafe) weil er "bei offener Lampe gedroschen hatte."
Derselbe Martin von Rüden erhielt im Jahre 1829 eine Strafe von 5 Silbergroschen "weil die Feuerstülpe fehlte." Der Tagelöhner Karl Serges erhielt am 7.6. 1829 eine Strafe von 3 Tagen Arrest zudiktiert, weil "er auf der Futterbühne beim Häckselschneiden geraucht hatte."
Die armselige Beleuchtung bis in die zweite Hälfte des vorigen Jahrhunderts lieferte besonders auf dem Lande die Rüböllampe. Welch eine Revolution in der Beleuchtung war das Petroleum, zuerst auch Solaröl und Steinöl genannt, welches dann in der letzten Zeit im bäuerlichen Betriebe vielfach durch das elektrische Licht abgelöst ist.
Wie schon erwähnt, wurde im südlichen Teil des alten Hochstiftes für das Herdfeuer und die Beheizung der Wohnstube ausschließlich Buchenbrennholz verwendet. Steinkohlen, die damals nur als Rasenkohlen gewonnen wurden, kamen wegen der weiten Entfernung und Transportschwierigkeiten für Heizzwecke im Paderborner Lande nicht in Frage. Jedes Haus hatte in der Regel Anspruch auf freie Lieferung einer bestimmten Menge Buchenbrennholz aus den benachbarten Waldungen. Leider sind diese Holzgerechtsame vom Forstfiskus durch Kapitalabfindungen vielfach abgelöst. Die gezahlten Gelder sind anderweitig verbraucht oder entwertet und so verloren gegangen.
Man kann es beim Forstfiskus verstehen, daß er auf Ablösung der Holzgerechtsame drängte, und vielfach wurde regierungsseitig die Tüchtigkeit eines Oberförsters nach der Zahl der erreichten Holzgerechtsame-Ablösungen bemessen. Bei den in letzterer Zeit durchgeführten Separationen ist die Ablösung durch Sachwerte, nämlich durch Zuweisung von Land erfolgt. Die Ablösung einer Gerechtsame durch Kapitalzahlung ist stets für den Berechtigten eine Schädigung, da der Geldwert sinkt und für ihn nicht die Möglichkeit besteht, die Beheizung durch Sachwerte sicher zu stellen. Welch eine Wohltat war in der Zeit der Inflation nach dem Weltkriege (1914-1918) eine Holzgerechtsame wo Kohlen kaum zu haben oder auch nicht zu bezahlen waren.Über die Holzgerechtsame des Fernandshofes ist im 7. Kapitel das Nähere mitgeteilt.
Das ländliche Bauernhaus war in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts noch mit dem von den Eltern und Großeltern ererbten Inventar angefüllt. In der Wohnstube war der große Tisch aus Eichen- oder Eschenholz, blank gescheuert, für die Bauernfamilie, zu der auch das Gesinde zählte und heute noch vielfach zählt. Sofa, Kanapee, Klubsessel waren dem Bauern unbekannt. Hinter dem Tisch die lange hölzerne Bank, ferner die erforderlichen Brettstühle. Vielfach war in der Wohnstube die Standuhr mit kunstvollem zinnernen Zifferblatt aus der Werkstatt des Meisters Anton Thöne in Lichtenau, der Ende des 18. Jahrhunderts dort eine Uhrenindustrie geführt hat.
Kunstfertig geschnitzte Truhen und Schränke sind leider vielfach aus Unverstand verkauft und sind heute Schmuckstücke der Museen geworden. Anderes Inventar ist achtlos zu Grunde gegangen. Auf dem Lande findet man heute nur noch selten wertvolles Inventar: eine Mahnung, das vorhandene zu hüten und in Ehren zu halten! Was kann so ein altes Inventarstück dem nachdenklichen, sinnenden Jungbauern erzählen von den Eltern und Großeltern, deren Nöten und Sorgen!
In den Schlafstuben waren meistens eichene Bettstellen mit Strohsäcken oder einer Schütte Stroh und meistens sehr schweren Federbetten. In der Küche auf dem früher offenen Herdfeuer der Kesselhaken, kupferne und eiserne Henkeltöpfe und Zinngeschirr. In der mehrfach erwähnten Schichtungsverhandlung meines Großvaters Ludwig vor seiner zweiten Verheiratung werden an Küchengeräten aufgeführt; ein Kesselhaken, drei zinnerne und ein kupferner Kaffeekessel, ein Dutzend Eßlöffel nebst Vorleger und Teller, Pfefferdosen usw., alles aus Zinn. Auch dieses zinnerne Inventar, wozu auch die aus demselben Metall gefertigten Rüböllampen gehören, ist leider zum größten Teil aus unsern Bauernhäusern verschwunden und ziert heute vielfach die Wohnstube der Stadtbewohner.
Noch zu Anfang bis über die Mitte des vorigen Jahrhunderts wirkte sich besonders auf dem Lande die mittelalterliche Hofwirtschaft fort, daß das in der eigenen Wirtschaft Erzeugte auch dort weiter verarbeitet und verbraucht wurde.
Kleidung
Das war zunächst der Fall bei der Bekleidung. Die Wolle aus dem eigenen Betriebe wurde gesponnen und weiter verarbeitet. Mit der Einfuhr australischer Wolle, die bedeutend billiger als in Deutschland gewonnen werden konnte, nahm die Schafzucht und auch die Wolle-Verarbeitung im bäuerlichen Betriebe ab.
Der Flachs wurde fast in jeder Familie auf dem Lande angebaut und verarbeitet. Bei keinem Brautschatz für eine Bauerntochter durfte bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts Spinnrad, Haspel, Hechelstuhl fehlen, selbst auch bei den Mädchen, die zur Stadt heirateten, wie ich dieses bei meiner Großmutter väterlicherseits Marianne Schäfers aus Nordborchen, die nach Paderborn heiratete, aus der Schichtungsverhandlung vom 19.2.1829 festgestellt habe.
Das Garn wurde aus dem gebleichten, gehechelten und gereinigten Flachs gesponnen - wir erinnern an die Spinnstube - und zu Leinewand besonders in der Winterszeit von den Frauen und Töchtern gewebt, wie ich dieses noch in meinen Ferien auf dem Fernandshofe erlebt habe. Der Webstuhl ist heute noch, wenn auch unbenutzt, auf dem Hofe. Leinene Werktagskleidung wurde damals fast allgemein auf den Dörfern getragen. Sehr zweckmäßig war der blaue leinene Kittel, den der Landmann bei einer Fahrt zur Kirche, zum Markte usw. trug. Von dem Oberpräsident von Vincke ist uns bekannt, daß er bei Landreisen gern den bäuerlichen blauen Kittel trug.
Handwerker, so besonders Schneider und Sattler, kamen auf den Bauernhof, um dort die Neubestellungen oder Ausbesserungsarbeiten vorzunehmen. Mit dem Aufkommen der Leinenfabriken hörte die Hausindustrie auf, und es ist wohl sehr zweifelhaft, ob sie in nennenswertem Maße wieder zur Geltung kommen wird.
Nahrung
Auch in der Ernährung, worin damals die größte Einfachheit herrschte, setzte sich die alte Hofwirtschaft fort. Die in der eigenen Wirtschaft gewonnene Milch wurde zum Teil meistens nur für den eigenen Verbrauch verbuttert oder zu Käse verarbeitet. Das für den Familientisch notwendige Fleisch wurde in der eigenen Wirtschaft gewonnen; die Schweine wurden geschlachtet und auf dem Hofe verwurstet. Schweinefleisch in seinen verschiedenen Formen als Schinken, Speck, Würste der verschiedenen Art bildeten die Hauptfleischnahrung das ganze Jahr hindurch.
Ebenso wurde das in der eigenen Wirtschaft gewonnene Korn auf der nachbarlichen Mühle gemahlen; das Mehl wurde von den Frauen zur Brotbereitung angemacht, gesäuert und im eigenen Backofen zu saftigem, nahrhaften Brot verbacken. In der Gegend von Blankenrode, wie im ganzen südlichen Hochstift Paderborn war die Hauptfrucht Roggen und Hafer, daneben auch Gerste und etwas Weizen. Zur ersten Hauptmahlzeit am Morgen genoß man wie im Mittelalter Brei aus gemahlenem Roggen- oder auch Weizenkorn oder Grütze, geschroten aus Hafer oder Gerste. Brei und Grütze, mit Wasser und Milch angemacht und gekocht, vertraten mit Brot genossen unseren heutigen Morgenkaffee. Die Morgensuppe hat sich im südlichen Paderborner Lande zum Teil bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts gehalten.
Der Genuß des Kaffees, vom Paderborner Fürstbischof Wilhelm Anton von Asseburg (1763-1782) noch scharf bekämpft, bürgerte sich zuerst in vornehmen Kreisen ein, griff dann über auf die Stadtbevölkerung und zuletzt auch auf die Landbevölkerung. Als Ersatzgetränk für Kaffee wurde auf dem Lande und bei der ärmeren Stadtbevölkerung Cichorien-Kaffee getrunken. Daß der Bohnenkaffee besonders bei älteren Leuten schon damals einer besonderen Beachtung sich erfreute, ersehen wir aus verschiedenen Leibzuchtsbedingungen. So behält sich mein Urgroßvater väterlicherseits Zimmermeister Joh. Schäfers in Nordborchen in dem schon erwähnten Übertragsvertrag vom 19.2.1829 u.a. die ausnahmsweise Lieferung von wöchentlich ¼ Pfund Kaffee vor, während Großvater mütterlicherseits Ludwig von Rüden am 17.11.1871 sich wöchentlich ½ Pfund Kaffee bester Sorte vorbehält.
Wie im Mittelalter bildeten in den ersten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts Brei und Grütze die Hauptnahrung auch beim Abendessen. Daneben wurden auch beim Abendessen die vom Mittagstisch übriggebliebenen Reste genossen. Bis zu Anfang des vorigen Jahrhunderts gab es auch in Westfalen nur drei Hauptmahlzeiten; Morgen-, Mittag- und Abendessen. Das sog. Frühstück und der Nachmittagskaffee sind erst im verflossenen Jahrhundert bei uns üblich geworden.
Für die Hauptmahlzeit am Mittag kamen besonders die Hülsenfrüchte, und von diesen die Erbsen und besonders dicke Bohnen in Betracht, welch letztere das ganze Jahr sowohl als grüne Bohnen als auch im ausgereiften Zustande gekocht und gern gegessen wurden. Bei schlechter Getreideernte wurden oft dicke Bohnen oder Pferdebohnen und Roggen als Brotmehl gemahlen. Neben den Hülsenfrüchten wurde auch je nach Jahreszeit etwas Gemüse angebaut und genossen von besonderer Bedeutung für die Ernährung waren wie heute noch der Kappus und Grünkohl.
Der Fleischgenuß war nicht so stark wie etwa in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, wo das Gesinde reichlichst und für mehrere Mal am Tage Fleisch verlangte, wo der Bauer, um die notwendigsten Arbeitskräfte, die zur Abwanderung in die Industrie sehr gern geneigt waren, sich zu erhalten, zum Nachgeben gezwungen war, obwohl ein starker Fleischgenuß wahrlich nicht gesundheitsfördernd ist. Im 18.Jahrhundert scheint auch im Paderborner Lande nur drei Mal in der Woche zum Mittagessen Fleisch auf den Tisch gekommen zu sein.
Der Kartoffelanbau konnte bei der früheren Dreifelderwirtschaft nur in sehr mäßigem Umfang betrieben werden, wurde aber mit der Auflockerung der früheren wirtschaftlichen Gebundenheit immer mehr betrieben. In den Akten der Kriegs- und Domänenkammer bei Aufhebung des Klosters Dalheim wird der Kartoffelanbau noch nicht erwähnt, und heute ist die Kartoffel aus unserer Ernährung kaum noch wegzudenken.
Ein besonders großer Notstand bildete sich nach einem Aktenstück der Bürgermeisterei Atteln im südlichen Paderborner Lande wie anderswo nach 1845 durch den Mißwachs der Kartoffeln aus. Die Kartoffelkrankheit dauerte mehrere Jahre, wo kaum ⅓ des früheren Ernteertrages geborgen werden konnte. Von seiten der Regierung wurde alles versucht, um Abhilfe zu schaffen. Der Kriegsminister erklärte sich bereit, aus den Heeresmagazinen Kartoffeln für die notleidende Bevölkerung vorschußweise herzugeben.
Nach einem Rundschreiben des Landrates von Büren, Graf zu Stolberg, vom 29.10.1845 wurde zur Bildung von Hilfsvereinen in den Gemeinden aufgefordert. Nach einem Bericht des Landratsamtes Büren vom 23.10.1845 konnte im genannten Jahre im Kreise Büren "mit einziger Ausnahme der sandigen Gegend des Amtes Boke kaum 1/5 bis 1/6 einer mittelmäßigen Kartoffelernte angenommen werden." Das Ministerium in Berlin entschloß sich, für die notleidende Bevölkerung aus den ostpreußischen und russischen Ostseehäfen Roggen einzuführen; in Riga stellte sich der Preis für den Mispel (25 Scheffel) auf 44 Tlr.; hinzu kam die Seefracht bis Stettin und die Landfracht bis Westfalen, also sehr teures Brotkorn!
Die Not scheint in den Gemeinden Haaren, Helmern, Etteln und Husen besonders groß gewesen zu sein. Im Frühjahr 1846 bewilligte Landrat von Büren ein unverzinsliches Darlehn für ein Jahr von 1370 Tlr. zum Ankauf von Saatkartoffeln. Die Gemeinde Etteln stellt notleidenden Einwohnern 80 Scheffel Saatkartoffeln im Jahre 1846 zur Verfügung; in Haaren, Helmern und Husen geschah das gleiche; die Gemeinden mußten die von Büren erhaltenen Vorschüsse in Bar oder Natura zurückerstatten.
Um der Kartoffelkrankheit Herr zu werden, wurde vom Regierungspräsidenten in Minden am 21.3.1846 die Anzucht von neuen Kartoffelsorten aus amerikanischen und holländischen Samen anempfohlen. Die Aussaat in Mistbeeten war damals noch unbekannt, und so blieb der Erfolg aus.
Gutsbesitzer von Mallinckrodt auf Böddecken stellte den Armen der Gemeinde Haaren im Frühjahr 1846 vorschußweise 200 Scheffel Pflanzkartoffeln zur Verfügung. Die Gemeinde übernimmt für Rückgabe die Bürgschaft. Am 28.3.1846 werden vom Amtmann Cluth in Atteln dem Landrat in Büren 125 bedürftige Bewohner des Amtsbezirkes zu einer Unterstützung von je einem Taler in Vorschlag gebracht, darunter auch 7 arme Familien in Blankenrode.
Die Kartoffelkrankheit hielt noch mehrere Jahre an. In einer Verfügung der Regierung in Minden vom 23.8.1851 wird von dem
Umsichgreifen der Krankheit gesprochen, und selbst noch am 20.8.1861 berichtet Vorsteher Fromme in Helmern, daß kaum ¼ der Kartoffeln geerntet würden.
Zum Schluß dieses Abschnittes sei noch einer weniger erfreulichen Tatsache gedacht, nämlich des Alkoholmißbrauches, des Schnapstrinkens. Wie wir dargelegt haben, waren besonders die ersten Jahrzehnte des vorigen Jahrhunderts arme Zeiten, und in den Zeiten der Armut, des Elends und der Verlassenheit sucht der Mensch nur gar zu leicht Vergessenheit im Genuß alkoholischer Getränke. So können wir von einer Schnapspest im Paderborner Lande reden. Noch in meiner Jugendzeit hatten die meisten Bauern ein Fäßchen Schnaps im Keller.
Zur Erntezeit, beim Dreschen mußte zum Frühstück und zum Vesperbrot den Mitarbeitenden ein Schnaps gereicht werden, wie noch Ende des vorigen Jahrhunderts von den ländlichen Mauermeistern zum Frühstück und Nachmittags den Gesellen und Handlangern ein Glas Schnaps gereicht werden mußte. Wenn der Bauer ein Fäßchen im Keller hatte, wie leicht konnte er sein bester Abnehmer werden! Auf dem "Kondokterhofe" in Blankenrode war eine Schnapsbrennerei, wie auch die meisten aufgehobenen Klöster derartige Brennereien errichtet und verpachtet hatten.
Am 27.3.1846 starb Förster Bernard Lohoff in Blankenrode, und am 9.10.1847 bescheinigt seine Witwe geb. Hillebrand, daß sie dem Amtmann Werner Kleinschmidt für mehrere Jahre ihrem verstorbenen Manne überlassenen Branntwein 100 Tlr. schulde. Wie viele Bauernhöfe sind damals durch den Branntwein überschuldet worden und zur Subhastation gekommen!
Eine Besserung trat allmählich durch die Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse (Separation usw.) und auch durch die segensreiche Tätigkeit der Spar- und Darlehenskassen ein. In den um die Mitte des vorigen Jahrhunderts angefangenen Volksmissionen wurde schärfstens gegen den Branntwein gepredigt; erwähnt seien die Volksmissionare Hillebrand und der Franziskanerpater Caspar Heymer.
Vom Kaplan Matthias Seeling in Osnabrück (1792-1860) ging eine mächtige Nüchternheitsbewegung aus. Die Mitglieder der Ortsvereine gelobten völlige Abstinenz im Schnapstrinken: ein mäßiger Biergenuß wurde dagegen empfohlen. Diese Mäßigkeitsvereine haben sich zum Teil bis zu Anfang dieses Jahrhunderts in einigen ländlichen Gemeinden gehalten. Mein alter Onkel, der Zimmermeister Heinrich Schäfers, aus Nordborchen, der am 30.10.1932 im hohen Alter von 89½ Jahren starb, hat als Mitglied des vor langen Jahrzehnten gegründeten Mäßigkeitsvereins keinen Branntwein getrunken.