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Kapitel 2

Meine Großeltern väterlicherseites:


Mein Großvater väterlicherseits Friedrich Schäfers kam in seiner Jugend schon früh von seinem Geburtsorte Henglarn nach Paderborn, der Hauptstadt des damaligen Fürstenbistums gleichen Namens. Wann und unter welchen Umständen dieses geschehen ist, bei welchen Verwandten er Familienanschluß hier fand, hat Vater selig mir nicht erzählt, wenigstens ist davon in meinem Gedächtnis nichts haften geblieben.


Ansicht von Paderborn

Wohl hat mir Vater erzählt, daß Großvater bei den Benediktinern zum Abdinghof in Paderborn die heilige Messe gedient; ebenso wußte Vater auch einige interessante Kleinigkeiten aus dem Leben dieser Mönche zu erzählen. Da genannte Abtei von der Preußischen Reierung mit den anderen vier sogenannten "fundierten" Männerklöstern Marienmünster (Benediktiner), Hardehausen (Zisterzienser), Böddeken und Dalheim (letztere beiden Augustiner) durch Königliche Kabinettsorder vom 1. März 1803 aufgehoben und ebenso das Fürstbistum Paderborn bereits am 5. August 1802 fäkularisiert war, muß Grovater noch vor Beendigung der fürstbischöflichen Zeit zur damaligen Landeshauptstadt gekommen sein. Er scheint hier auch die Freischule des Exjesuiten und Markkirchpfarrers Anton Fechteler besucht zu haben; über die "Freischule" bringe ich Weiteres bei der Lebensbeschreibung meines seligen Vaters.

In Atteln, der Pfarrdorfe der Gemeinde Henglarn, hat eine Volksschule Ende des 18. Jahrhunderts bestanden, dagegen wohl nicht in Henglarn. Die Schulreformen des letzten Fürstbischofs Franz Egon von Fürstenberg waren so weit noch nicht durchgeführt, daß in jeder Gemeinde eine Volksschule war. Der Schulreformator des Paderborner Landes war der Franziskanerpater Damascenus Himmelhaus, wie Johann Bernhard Overberg der größere und bedeutendere Pädagoge des Münsterlandes gewesen ist. Großvater war des Schreibens kundig, und er brauchte bei zu leistender Namensunterschrift nicht drei Kreuze zu machen, wie dieses die des Schreibens unkundigen Leute zu tun pflegten.

Das weitere, was ich aus Großvaters Friedrich späterer Jugend nach oftmaliger Erzählung meines seligen Vaters weiß, ist, daß er bei den Franzosen unter König Jérôme Soldat gewesen ist. Nach der vorübergehenden preußischen Besetzung (1802-1807) kam das Paderborner Land durch den Frieden von Tilsit am 9. Juli 1807 an das Königreich Westfalen, einen von Napoleon dem Großen für seinen noch unversorgten jüngeren Bruder Hieronymus neugebildeten Vasallenstaat Frankreichs. Durch den Rheinbund herrschte Frankreich über Süddeutschland, und durch das Königreich Westfalen reichte seine Macht bis an die Elbe. Wenn die Paderborner den Fall der Preußischen Regierung und die Niederlage des Preußischen Heeres bei Jena und Auerstädt mit Freude begrüßt und den einrückenden Franzosen zugejubelt hatten - die Preußen haben es wenig verstanden, die Sympathie eroberter oder neu erworbener Landesteile rasch für sich zu erwerben -, so haben sich die Paderborner in den Franzosen doch bald getäuscht. Französisches Recht und Wesen hielt seinen Einzug in das Paderborner Land.

Durch die unaufhörlichen Kriege Napoleons entstand ein bisher ungewöhnlicher Steuerdruck, welcher durch die Verschwendung des Königs Jérôme noch gesteigert wurde, der nach durchpraßter Nacht auf deutsch nur sagen konnte: "Morgen wieder lustick." Hinzu kam für die Bevölkerung die verhaßte Blutsteuer, der Militärdienst! Napoleon brauchte für seine Kriege Soldaten und wieder Soldaten, und die von ihm abhängigen Staaten waren von der Blutsteuer nicht verschont. Dabei war den im alten Schlendrian lebenden Paderbornern der Gamaschendrill äußerst verhaßt, vor dem sie in fürstbischöflicher Zeit verschont geblieben waren. Ein westfälisches Armeekorps wurde von 1808/09 nach Spanien geschickt und ist dort fast restlos aufgerieben worden.

Großvater selig, geboren 1792, ist etwa Ende der französischen Zeit, etwa 1811 oder 1812, von den Franzosen zum Soldaten ausgehoben und hat, wie Vater selig erzählte, auf dem Abdinghofer Kasernenhofe exerzieren müssen. Die Kommandos werden französisch gewesen sein; wenigstens konnte mein Vater französisch bis 10 zählen, was er vom Grovater aus dessen "Franzosenzeit" gelernt hatte. Wie weit der junge französische "Mußsoldat" bei dem Kriege Napoleons gegen Rußland im Jahre 1812 nach Osten marschiert ist, weiß ich nicht. Soweit ich mich der gelegentlichen Erzählung Vaters erinnere, hat Großvater Friedrich in der Völkerschlacht bei Leipzig noch auf Seiten der Franzosen kämpfen müssen. Am 31. Oktober 1813 verließen die letzten französischen Truppen in fluchtartiger Eile Paderborn, und am Abend desselben Tages rückten die Kosaken in die Stadt ein. Weitere Kosakenabteilungen folgten, und am 8. November 1813 rückte ein Preußisches Heer unter General von Borstel, von Detmold herankommend, in Paderborn ein; das Erbfürstentum Paderborn war wieder ein Land der Krone Preußen!

Vom seligen Vater weiß ich, daß Großvater preußischer Soldat (Infanterist) wurde. Er kämpfte gegen Napoleon nach dessen Flucht von Elba im Jahre 1815 und hat die Schlachten bei Ligny und Waterloo mitgemacht. Bei Ligny wurden die Preußen unter Blücher von Napoleon geschlagen, der sich dann gegen die Engländer unter General Wellington bei Waterloo wandte und dieselben aufs härteste bedrängte. Vater hatte noch von Großvater den historischen Ausspruch Wellingtons erzählen hören: "Ich wollte, es wäre Abend oder die Preußen kämen." Und die geschlagenen Preußen, neugeordnet, rückten unter Blüchers Führung in Eilmärschen heran. Napoleon wurde endgültig geschlagen und starb 6 Jahre später auf der Felseninsel St. Helena.

Bei den vom seligen Vater erhaltenen Papieren sei hier die vom Königl. Preuß. Oberstleutnat und Kommandeur des 5. Westfälischen Landwehr-Infanterie-Regiments von Goebel unterschriebene Urkunde vom 12. Februar 1816 mitgeteilt:

Vorzeiger dieses, der Friedrich Schäfers, aus Henglarn gebürtig, vom 5. Westfälischen Landwehr-Infanterie-Regiment, hat in dem Feldzuge vom Jahre 1815 wirklich mitgefochten und ist seinen Pflichten treu geblieben; deshalb wird ihm nach der Allerhöchsten Stiftungsurkunde vom 24. Dezember 1814 die Denkmünze für das Jahr 1815 erteilt, und ist ihm zufolge der Allerhöchsten Kabinettsorder vom 6. Oktober 1815, daß er die Medaille zu tragen berechtigt ist, dieses Attest zu seiner Legitimation ausgefertigt worden.

Die bronzene Kriegsgedenkmünze habe ich in meiner Jugend noch gesehen, sie ist aber leider in der Folge verloren gegangen. Ein Handwerk hat Großvater Friedrich nicht gelernt; er wird deshalb in amtlichen Schriftstücken als Tagelöhner bezeichnet. Bald kam er - wann, ist nicht zu sagen - in dauernde Arbeit bei Bäcker, Brauer und Gastwirt Anton Hoppe, jetzt Bobbert in der Grube, und deshalb heißt die Bezeichnung jetzt "Brauknecht" Friedrich Schäfers.

Wie das Paderborner Brot weithin im deutschen Vaterland wegen seiner Vorzüglichkeit bekann ist, so war nicht minder in frühreren Jahrhunderten die Paderstadt wegen ihres ausgezeichneten Bieres berühmt. Zu Anfang des vorigen Jahrhunderts waren in Paderborn etwa dreißig, natürlich kleinere Brauereien vorhanden, die ein leichtes, obergäriges Bier brauten. Mit dem Wachsen der Brauindustrie nahm die Zahl der Brauereien immer mehr ab. In meiner Jugend waren in Paderborn noch folgende Brauereien:


Letztere beiden Brauereien haben sich vereinigt und heißen heute Aktien- und Vereinsbrauerei. Alle übrigen Brauereien sind eingegangen, und Paderborn, die alte berühmte Bierstadt, wird heute zum großen Teil von auswärtigen Brauereien (Dortmund, Lippstadt, Grevenstein und München) beliefert.

Das Verhältnis des Brauknechts Friedrich zu seinem Arbeitgeber scheint dauernd ein gutes gewesen zu sein. Als Großvater selig im Jahre 1827 daran dachte, ein Haus zu bauen und ihm das notwendige Baukapital fehlte, versprach ihm der Prinzipal seine Hilfe.

Am 5. November 1826 fand die Trauung der Großeltern Friedrich und Maria Anna in der Gaukirche hier statt. Großvater war damals 34 Jahre alt - in den Pfarrbüchern der Gaukirche ist fälschlich das Alter mit 32 Jahren angegeben -; das Alter der Großmutter ist mit 27 Jahren angegeben. Die Trauung vollzog der Probst Schumacher; Trauzeugen sind nicht angegeben.

Großvater Friedrich Schäfers begann bald nach seiner Verheiratung am 5. November 1826 den Plan, ein eigenes Haus zu bauen, auszuführen. Paderborn war damals noch von Stadtmauern, die allerdings zum Teil schon zerfallen waren, Stadtgraben und dem zu Promenaden umgewandelten Wall umgeben. Die Tore wurden wegen der von der Stadt erhobenen Schlacht- und Mahlsteuer überwacht und des Nachts geschlossen. Der eisernen Torflügel vom Westerntor erinnere ich mich noch aus meiner frühesten Jugendzeit. Außerhalb der Stadtmauern standen noch keine Wohnhäuser; wegen mangelnder Sicherheit mochte man nicht gern draußen wohnen.

Die Gründerin der Genossenschaft der Schwestern der Christlichen Liebe Pauline von Mallinckrodt hat noch Anfang der fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts es lebhaft bedauert, daß sie mit ihrer Blindenanstalt die anfänglich zugleich Mutterhaus war, außerhalb der Stadt sich ansiedeln mußte.

Friedrich Schäfers sah sich deshalb nach einem Bauplatz in der Stadt um und erwarb durch Kaufvertrag vor dem Justizkomissar (Rechtsanwalt) und Notar Becker am 2. Juni 1827 von dem Wagenmacher Arnold Reuke (wahrscheinlich aus Nordborchen stammend) einen Teil von dessen Garten zur Größe von 468 rheinländischen Quadratfuß, gleich 50 Quadratmeter, für 41 Reichstaler Courant zum Zwecke des Hausbaues. Beim notariellen Kaufvertrag fungierten als Zeugen, beide "ohne Petschaft", Polizeidiener Heinrich Wilhelm Kipper und Bedienter Carl Schäfers, beide aus Paderborn; letzterer war wahrscheinlich ein Vetter der Großmutter Marianne Schäfers. Die Lage der verkauften Parzelle wird im Grundbuche folgendermaßen beschrieben:

Garten, hinter dem Universitätshause zwischen dem Kasseler- und dem Westerntor (das Rosentor ist erst später geschaffen) und dem Garten des Gerichtsdirektors Mantell (wohl jetzt Vikarie der Markkirche) sowie neben einem Gebäude und Garten des Wagners Joseph Reuke, welch letzterer den Teil seines Gartens an Friedrich Schäfers zum Zweck eines von der Stadtbehörde bereits genehmigten Hausbaues verkauft.

Reuke behielt sich die in dem verkauften Teil stehenden Bäume vor, mußte diese aber sofort entfernen. Der Kaufpreis von 41 Talern ist laut notarieller Quittung am 3. August 1827 in der Liboriwoche vereinbarungsgemäß bezahlt. Die erworbene kleine Parzelle wurde am 2. Juni 1827 auf Großvaters Namen im Grundbuch eingetragen. Bereits am 19. April 1827 war dem Bierbrauer Friedrich Schäfers von der Stadtverwaltung der Hausbau unter nachstehenden Bedingungen gestattet worden:

  1. Der zu errichtende Bau müsse genauestens der eingereichten Zeichnung entsprechen.


  2. An der Stadtmauer (an die das Haus gebaut werden sollte) dürfe nicht die mindeste Veränderung vorgenommen werden, insbesondere dürfe das Haus auf dieselbe nicht gestützt werden


  3. Die etwa über die Stadtmauer hinaus nach der Rückseite anzulegenden Fenster müssen auf verlangen der Stadt vergittert werden. - Die folgenden zwei Bedingungen beziehen sich auf den am Hause vorbeiführenden Weg und Zahlung der Steuern. - Zu Nr. 2 und 3 der Bedingungen sei mitgeteilt, daß das Haus doch mit der Südseite auf der Stadtmauer aufgebaut wurde, und daß die Mauer im hinteren Zimmer (rechts vom Eingange) sowie in der Küche und im angebauten Stall durch Fensteröffnungen durchbrochen wurde und die südlichen Fenster des Obergeschosses, also über der Stadtmauer, nicht vergittert worden sind.

Das zum Hausbau notwendige Baukapital war Großvater Friedrich von seinem Arbeitgeber, der seinen zuverlässigen Arbeiter helfen wollte, durch Schuldurkunde vom 8. November 1827 zur Verfügung gestellt und am 27. Januar 1830 grundbuchlich eingetragen worden. Der Plan zum Neubau ist jedenfalls vom Urgroßvater Zimmermeister Johann Schäfers in Nordborchen, dem Schwiegervater meines Großvaters, angefertigt und von ihm und seinen ältesten Söhnen, die das väterliche Handwerk erlernt hatten, ausgeführt worden.



Elternhaus Paderborn, Jesuitenmauer

Das elterliche bzw. großelterliche Haus lehnt sich nach Süden an die Stadtmauer und stützt sich mit der Südwand des Obergeschosses auf dieselbe. Das Haus zeigt die Form eines Rechteckes, ist Fachwerkbau mit eichenen Ständern, mit einem Obergeschoß und nicht durchgebautem Dachgeschoß.

Im Erdgeschoß sind rechts von dem in der Mitte liegenden Flur zwei Zimmer, von denen das erstere als Wohnstube, später Wohnküche, und das zweite als Schlafstube diente. Links vom Eingang und Flur war ein Zimmer, welches als Schlafzimmer diente und später, als meine Brüder größtenteils das Elternhaus verlassen hatten, von Mutter sel. als "beste Stube" mit Sopha, auf das wir als Kinder aus Sparsamkeitsgründen uns aber nicht setzen durften, ausgestattet wurde; hinter dieser Stube war eine Küche, die mit großen kalten Bruchsteinplatten wie der Hausflur belegt war.

Von der Küche war ein Zugang zum nach Osten angebauten Stall und zu dem einen Keller unter der Wohnstube links vom Flur; ein weiterer Keller unter dem zweiten Zimmer rechts vom Eingang war vom Flur aus zugänglich; mithin waren nur zwei Zimmer unterkellert.

Im Obergeschoß waren rechts und links des Flures je zwei Zimmer, die vermietet werden konnten. Der Boden diente zur Aufnahme von Heu und Stroh für den Stallbetrieb und enthielt eine Rauchbühne, für die wir als Kinder stets ein großes Interesse hatten.

Das Haus trug die Nummer 175b und war mit 200 Talern gegen Brandschaden versichert. Im Jahre 1906 betrug die Versicherungssumme für Haus und Stall - letzterer ist allerdings vom Vater selig etwa gegen 1885 um einen geräumigen Bodenraum vergrößert - bei der Westfälischen Feuersozietät 4500 M., auch ein Beweis für den seit der Erbauung des Hauses gesunkenen Geldwert. - Für die grundbuchliche Eintragung seines Besitztitels und der Hypothek für Bierbrauer Hoppe im Betrag von 150 Taler zahlte Großvater an die Gerichts-Sportelkasse am 11.3.1830 den Betrag von 4 Talern, 16 Silbergroschen und 8 Pfennig. Wie schwer mag es den Großeltern geworden sein, auch diese Summe zu zahlen! - Am 9. Sept. 1857 mußte sich Großvater selig zur Unterhaltung des auf das elterliche Haus entfallenden Teiles der Stadtmauer verpflichten. Diese Verpflichtung besteht noch für das Haus, jetzt Jesuitenmauer Nr. 29.

Ob die Großeltern noch weitere Schulden bei Erbauung des Hauses gemacht haben, und ob die eigenen Ersparnisse reichten, kann heute nicht mehr gesagt werden. - Am 4. Juli 1855 nahm Rechtsanwalt und Notar Ardoin Gronarz unter Hinzuziehung der Kleidermacher Johann Wille und Anton Penke als Notariatszeugen vom seligen Großvater eine Schuldurkunde für den Kaufmann Everhard Theodor Anton Hoppe über 49 Taler 28 Silbergroschen für die von Friedrich Schäfers "in den beiden letzten Jahren käuflich erhaltenen Waren und Viktualien", die Schuldsumme, die mit 5% wie die erststellige Hypothek verzinst werden mußte, wurde am 8. August 1855 in das Grundbuch eingetragen.

Der Sparsamkeit unserer seligen Eltern gelang es, beide Hypotheken von 150 und 49 Talern 28 Silbergroschen bald nach der Gründung des eigenen Hausstandes abzutragen. Die Löschung erfolgte am 5. Januar 1894, jedoch unter vielen Schwierigkeiten, da die Erben Hoppe nicht mehr in Paderborn wohnten, zum Teil im Auslande lebten, und es sehr schwer war, löschungsfähige Quittungen beizubringen. Dem alten wackeren Gerichtsrat Naendrup, Grundbuchrichter in Paderborn, sei auch an dieser Stelle für die Hilfe bei der Löschung im Grundbuche gedankt!

In früheren Jahren und zum Teil auch noch jetzt herrschte und herrscht eine weitgehende Sorglosigkeit in Grundbuchsachen, so auch bei meinen guten Eltern. Großvater Friedrich war am 25. Februar 1861 gestorben. Mein seliger Vater war der einzige Erbe. Erst am 13. Februar 1890 ist Vater sel. aufgrund seines Erbscheines vom 3. Februar 1890 im Grundbuche als Besitzer eingetragen. Die Auflassung des Hauses und des Landes in der Stadtheide, über die noch gesprochen wird, an Bruder Leo erfolgte am 13. Juni 1906, der leider in der Inflationszeit am 30. Juni 1919 das elterliche Haus für 8000 Mark an den Orgelbauer Franz Albrecht verkaufte, da Leo als Beamter in Paderborn nicht bleiben konnte.

Durch notariellen Kaufvertrag vor Notar Wilmes in Paderborn vom 30. November 1923 ging dann für 4000 Goldmark an Ehefrau Kaufmann Wilhelm Queren, Helene gen. Riepe, das elterliche und großelterliche Haus über. Familie Dienstmann Wilhelm Queren bewohnt heute noch das Haus. - Gleichzeitig mit der Grundbuchumschreibung des großväterlichen Hauses auf Vater am 13. Februar 1890 und auf Bruder Leo am 13. Juni 1906 erfolgte auch die Umschreibung des Landes in der Stadtheide auf Vater und Bruder.

Das kleine, bescheidene, aber schmucke Häuschen an der Jesuitenmauer Nr. 29 hat die Geschichte der großväterlichen und väterlichen Familie Schäfers erlebt und ist Zeuge von Arbeitsamkeit, Sparsamkeit, Frömmigkeit und tiefer Religiosität, von glücklichem und opferreichem Familienleben gewesen. Es ist zu bedauern, daß das Haus der Familie nicht erhalten bleiben konnte. Vorübergehend habe ich selbst daran gedacht, das Haus von Leo zu kaufen und mir zur Wohnung einzurichten. Aber wer hätte dann das Haus später bekommen? Für die städtische Bevölkerung ist die Vererbung des väterlichen Besitzes nie so gefestigt wie bei der Landbevölkerung.

In meiner jetzigen Tätigkeit als Vizepräsident des Bonifatiusvereins komme ich, wenn ich in Paderborn bin, in der Regel sechsmal täglich am elterlichen Hause vorbei. Eigene Gedanken sind es, die mich erfüllen, besonders aber tiefe Dankbarkeit gegen Eltern und Großeltern, die hier gewohnt und für das Glück ihrer Nachkommen gearbeitet und gedarbt haben. Wie oft denke ich an das schöne Gedicht "Mein Vaterhaus" und bedauere, daß die letzte Strophe nicht zur Wahrheit werden konnte:

Drum tausch' ich für das schönste Schloß,
Wär's felsenfest und riesengroß,
Mein kleines Hüttchen doch nicht aus,
Es gibt ja nur ein Vaterhaus.

Im folgenden soll das Land in der Stadtheide, das für die großväterliche und väterliche Familie von großer Bedeutung wurde, kurz behandelt werden. Laut Empfangsbescheinigung der ... Anm.: unleserlicher Bereich ... Bürger-Aufnahmegeld im Betrag von 30 Talern, eine für damalige Zeit nicht unbedeutende Summe. Er war hierdurch vollberechtigter Bürger geworden und hatte damit Anspruch auf Rechte an dieser Stadt. Bald nach seiner Bürger-Aufnahme wurde er Hausbesitzer. Eines der wichtigsten Rechte der Haus- und Soolstättenbesitzer war das Hude- oder Hütungsrecht, d.h. der Hausbesitzer hatte das Recht, sein Vieh auf die städtischen Weiden durch den Gemeindehirten treiben zu lassen.

Je nach der Größe des Betriebes - und Paderborn war damals eine Ackerstadt, oder fast alle Bürger betrieben eine größere oder kleinere Landwirtschaft, letztere dann im Nebenbetriebe - war die Zahl des Weideviehes festgestellt. In Paderborn gab es vier Bauerschaften, die getrennte Gemeindewiesen benutzten. Eine Erinnerung an die früheren Bauerschaften haben wir in den vier Kompanien des hiesigen Schützenvereins: die Westernsträßer-, Königsträßer-, Kämpen- und ükern-Kompanie. Die Gründung des Schützenbataillons erfolgte im Jahr 1831, als die vier Bauerschaften noch bestanden. Das auf die städtischen Gemeindeweiden oder Allmenden aufgetriebene Vieh wurde von verschiedenen Hirten betreut; so gab es Kuhhirten, Schweinehirten, Ziegenhirten und vielleicht auch Gänsehirten.

Frühmorgens zogen die Hirten, meistens mit einem Jungen als Gehilfen und mit Hunden, durch die Straßen der Stadt, bliesen auf ihrem Horn, knallten mit der Peitsche, worauf die Hausfrauen oder Mägde die Stalltüren öffneten und das Vieh herausließen. Abends fand jedes Tier den Weg zum zugehörigen Stall zurück. In meiner Vaterstadt habe ich das Blasen der Hirten nicht mehr gehört; wohl aber in Scherfede, wenn ich als Junge dort bei Onkel Fieseler zu Besuch war. So hatte auch Großvater sel. ein Huderecht in Bezug auf Schweine und Ziegen.

Etwa um 1849 ging man in Paderborn an die sog. Separation oder Verkopplung (Separation=Aufteilung der Feldflur und meistens auch der Allmende; Verkopplung=Zusammenlegung der im Streubesitz liegenden Parzellen).

In Zusammenhang auf das hier geschilderte empfehlen wir Ihnen das Kapitel: Was ist Gemeinheitswirtschaft? in der Rubrik "Wissenswertes".

In der frühesten Zeit germanischer Ansiedlung war die um das Dorf liegende Feldflur nicht Eigen-, sondern Gemeinbesitz. Nach damaliger Wirtschaftsweise, der Dreifelderwirtschaft, die bis Ende des 18. Jahrhunderts sich gehalten hat, benutzte man einen Teil des Ackerfeldes für die Sommerfrucht, einen weiteren für die Winterfrucht, und der dritte Teil, der vorher im Turnus mit Sommer- und Winterfrucht bestellt gewesen war, blieb als Brache liegen, um sich zu erholen und die durch den vorhergehenden Anbau dem Boden entzogenen Nährstoffe wieder zu sammeln, da man wegen Mangel an Stallfütterung nicht genügend Dünger hatte und Kunstdünger noch nicht erfunden war. In den einzelnen Feldabteilungen waren die Parzellen zuerst den Einwohnern pachtweise zugewiesen, gingen aber allmählich in Eigenbesitz über.

Der Besitz einer Familie lag allmählich äußerst zersplittert, und die Zersplitterung wurde immer größer. Da die Grundstücke durch Wege nicht zugänglich waren, so herrschte der sog. Flur ... Anm.: unleserlicher Bereich

.. ungefähr zur selben Zeit geschehen, und jeder mußte seinen Nachbarn über sein Land fahren lassen. Mit dem Aufkommen der Hackfrucht- und Kartoffelbaues war die mittelalterliche Dreifelderwirtschaft nicht zu halten, die durch ihre Gebundenheit dem Fleiß und der Initiative des Einzelnen zu große Schranken auferlegte, und die durch das sog. Gemenge-Gelage der Ländereien sehr große Wirtschaftsverluste an Zeit, Gespann und Arbeitskraft brachte.

Mit der Separation oder Verkopplung war in der Regel auch die Aufteilung und zuweilen auch Verkauf der Allmende verbunden. Die Separation einer großen, vielfach zersplitterten Feldflur war die Aufgabe der "Spezialkommissionen", später Kulturämter genannt. Die Verkoppelungen zogen sich oft jahrzehntelang hin. Die Aufteilung der großen Paderborner Feldflur, begonnen gegen 1849, wurde endlich durch den Separations-Rezeß vom 15. September 1874 beendigt.

Leider ist zu Anfang der siebenziger Jahre des vorigen Jahrhunderts wertvoller Gemeindebesitz von Stadtvätern, die wegen der Umbaukosten des Rathauses zu ängstlich waren, verkauft worden. Der durch den Bahnbau Paderborn-Warburg usw. reich gewordene Bauunternehmer Hoeppen, bald darauf von Koeppen, kaufte die Gemeindeweide Ringelsbruch, westlich von Paderborn, und im Osten der Stadt die Allmende beim "Heidturm" und richtete sich landwirtschaftliche Güter ein; auf Ringelsbruch errichtete er auch ein Schloß zum Wohnen. Den östlich der Stadt gelegenen Besitz nannte er nach dem Namen seiner Frau "Rosenkranz"

Mit der Aufteilung der Feldflur und des Gemeindebesitzes mußten aber die bisherigen Hudeberechtigten entschädigt werden. Hierzu diente die nördlich der Stadt gelegene und im Gemeindeeigentum stehende Stadtheide. Jeder Hausbesitzer und Bürger bekam eine seiner Berechtigung entsprchende Größe an noch urbar zu machendem Heideland. So bekam Großvater sel. zugewiesen etwa im Jahre 1859 das Heideland Flur 41 Nr. 85 zur Größe von 38,97 Ar, welches durch Bestellung mit Kartoffeln und Roggen der Familie wertvolle Dienste geleistet hat.

Die intensive Bewirtschaftung wurde durch die weite Entfernung von der Jesuitenmauer von etwa ¾ Stunden und die mangelnde Chauffierung des Hauptzufuhrweges, des "Schinkendammes", erschwert. Der Schinkendamm war ein Teil der alten Poststraße Paderborn-Detmold, hieß wegen des städtischen Galgens ursprünglich Schinderdamm und trägt heute die Bezeichnung "Hindenburgdamm". Das Heideland, an welches sich für mich viele Jugenderinnerungen knüpfen, gehört noch meinem Bruder Leo in Recklinghausen.

Nach Fertigstellung des neues Hauses an der Jesuitenmauer zogen die Großeltern aus der Mietwohnung etwa Ende 1827 in das eigene Häuschen und führten ein Leben, wie es in der guten alten Zeit Sitte war, ein Leben harter Arbeit und des Gebetes. Aus der Ehe gingen hervor fünf Kinder, von denen drei im jugendlichen Alter starben, nämlich:



Blick in die Gasse Jesuitenmauer

Von den Hungerjahren 1846 und 1847 hat Vater sel. uns oft erzählt. 1847 war für die westlichen Provinzen ein Jahr totalen Mißwachses, besonders beim Getreide; im folgenden Jahre mißriet völlig auch die Kartoffelernte durch eine eigenartige Krankheit. Die Kartoffeln wurden "rongesch", so bezeichnet in katholischer Gegend nach dem abgefallenen schlesischen Priester Joh. Ronge, der gegen die Ausstellung des heiligen Rockes in Trier 1844 aufgetreten war und dann mit dem gleichgesinnten Vikar Joh. Czerski zum Apostaten wurde.

Vater erzählte, wie in den Hungerjahren kaum Brot im elterlichen Hause gewesen sein; Großmutter habe des Morgens jedem Familienmitgliede eine ziemlich dicke Schnitte Brot gegeben mit den Worten: "Damit müßt ihr heute auskommen"

Er und seine Schwester hätten in der schulfreien Zeit Brennesseln und Gesseln suchen müssen, die dann in gekochtem Zustande eine Ergänzung der mangelhaften Nahrung gewesen seien. - Der Preis des Getreides war damals in Westfalen und Rheinland vier- bis fünfmal so hoch als in den östlichen Provinzen. Wegen mangelnder Schienenwege, Chausseen und Kanäle konnte der Getreideüberfluß des Ostens dem Westen nicht zugeführt werden.

Eine weitere Notzeit kam über die großväterliche Familie durch die lange Erkrankung der Tochter Elisabeth, gestorben am heiligen Weihnachtsfeste des Jahres 1854, und die Krankheit der Großmutter Marianne, welche am 12. Dezember 1855 ihrer Tochter ins Grab folgte. Der kärgliche Tagelohn des Großvaters reichte nicht aus; so wurden denn Kolonialwaren und Lebensmittel auf Borg bei dem Kaufmann Everhard Theodor Anton Hoppe geholt, für den sie, wie schon oben erzählt, im Betrage von 49 Talern 28 Silbergroschen am 8. August grundbuchlich eingetragen wurden.

Von seiner Mutter hat Vater sel. wenig erzählt; sie war eine stille, arbeitsame und fromme Frau, die einfach ihre Pflicht erfüllte und von der man auch nicht viel erzählen kann; (vgl. das Gedicht von Adalbert von Chamisso:)

Von der Jugendzeit meines Vaters Bernard ist im folgenden Abschnitt die Rede. Nach dem Tode der Mutter und Tochten standen Großvater Friedrich und mein Vater Bernard ohne weibliche Führung des Haushaltes da.

Mein Großvater väterlicherseits überlebte seine Frau Marianne nur um 5 Jahre, er starb gottergeben im Alter von etwa 68½ Jahren am 25. Februar 1861. Am 28. Februar 1861 wurde der alte Soldat der Freiheitskriege - ob mit militärischen Ehren, entzieht sich meiner Kenntnis - auf dem Westernfriedhof vor dem Westerntor, im Mittelalter die "Kermisse" genannt, jetzt Kirchplatz der Herz-Jesu-Kirche, begraben.

Bis zur Besetzung Paderborns durch die Franzosen nach der Doppelschlacht von Jena und Auerstädt (1806) und zum Frieden von Tilsit (1807) waren die Friedhöfe in der Stadt, also innerhalb der alten Stadtmauern, besonders beim Dom, dem heutigen Marktplatze. Gleich zu Beginn der französischen Zeit (1807 bis 1813) wurden in Paderborn nach Vereinbarung des Magistrates mit der Bischöfl. Verwaltung zwei neue Kirchhöfe außerhalb der Stadt, und zwar unmittelbar vor dem Western- und Heierstor, angelegt. Der größere dieser beiden inzwischen eingegangenen Kirchhöfe war der Westernfriedhof, den ich als unbenutzten, dichtbewachsenen Friedhof noch gekannt habe. Beide Kirchhöfe vor dem Heiers- und Westerntor wurden von Generalvikar Weihbischof Richard Dammers eingeweiht.

Die Stadt Paderborn erwarb vom Bischof Hubertus Simar (1892-1899) das alte Konvikt mit Gärten und Weiden vom Heierstor bis beinahe zur Pader und trat dafür den alten Westernfriedhof für die zu erbauende Herz-Jesu-Kirche ab. Wie der Kirchhof vor dem Heierstor bereits eingeebnet war, so wurde auch etwa 1896 der Westernfriedhof eingeebnet, die Grabdenkmäler wanderten zum Teil in die Fundamente der neuen Kirche. Auch die schöne gotische Kirchhofslampe, wahrscheinlich von einem in der Stadt gelegenen aufgehobenen Kirchhof stammend, die ich noch gekannt habe, wurde zerschlagen. Die Gräber meiner Großeltern und Verwandten auf dem Westernfriedhof habe ich nicht mehr gekannt. Von dem alten Westernfriedhof ist heute nur noch das in der Außenchorseite der Herz-Jesu-Kirche stehende, aus einem Stein gehauene Kreuz mit Corpus und Sockel vorhanden; es ist das alte Friedhofskreuz des verschwundenen Westernfriedhofes.





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